Pflicht statt Kür: Eine durchdachte Digitalstrategie für regionale Unternehmen

Wie erreiche ich meine Kunden im Lockdown? Benjamin Czesch, Digitalexperte aus der Mediavermarktung der Lübecker Nachrichten (LN), erklärt im Interview, worauf regionale Unternehmen bei ihrer Digitalstrategie achten sollten.

Welche Auswirkungen hat Corona auf die Kommunikation und das Marketing von Unternehmen? 

Die Notwendigkeit, in die eigenen digitalen Unternehmens-Präsenzen und darauf ausgerichteten Digital Marketing Kanäle zu investieren, hat sprunghaft an elementarer Bedeutung gewonnen. Der Lockdown verlangt den Unternehmen jetzt vor allem eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Ansprache ihrer Kunden über digitale Kommunikationswege ab. Bis zum Ausbruch der Krise war eine durchdachte Digitalstrategie für viele Unternehmer noch Kür. Mit Corona ist diese innerhalb kürzester Zeit für einen Großteil der Geschäftsmodelle zur Pflicht geworden. Die Konsumentennachfrage ist häufig nicht weg, sondern wird jetzt verstärkt digital ausgelöst. Wir als regionales Medienhaus z.B. stellen eine deutlich erhöhte digitale Mediennutzung und Zahlungsbereitschaft für unsere digitalen journalistischen Inhalte fest. 

Welche Verhaltensweisen und Reaktionen beobachten Sie bei regionalen Unternehmen in der aktuellen Situation? 

Zuallererst möchte ich allen regionalen Unternehmern das notwendige Durchhaltevermögen und Entscheidungsgeschick in dieser herausfordernden Zeit wünschen. Mit übergeordnetem Blick auf die Verhaltensweisen im Marketing beobachte ich in den letzten Wochen, dass sich die Unternehmen in zwei Lager teilen. Die eine Hälfte reduziert ihre Investitionen in das Marketing punktuell bis sehr spürbar. Die andere Hälfte erhöht ihre Investitionen und Aktivitäten vor allem im digitalen Marketing jetzt deutlich. Website-Projekte beispielsweise, welche noch in der Angebotsphase waren, oder bei denen die Fertigstellung noch mehrere Wochen in der Zukunft lag, werden jetzt abgeschlossen oder mit erhöhter Priorität versehen. Andere erfinden sich sowie ihr Geschäftsmodell neu, vermarkten sich mit viel Ideenreichtum in den sozialen Medien und erhalten dort neben hohen Reichweiten sehr viel Zuspruch aus der Bevölkerung. 

Wie können regionale Unternehmen während der Krise mit ihren Bestandskunden in Verbindung bleiben und Neukunden gewinnen? 

Da große Teile der Kundenberatung und Serviceanfragen sowie vor allem die Kaufanbahnung inkl. deren Durchführung jetzt verstärkt digital stattfinden, sollten Unternehmer ohne jeglichen digitalen Auftritt zuallererst in diesen investieren. Für alle diejenigen, welche nicht bei null starten, geht es häufig um die Frage: Was passiert, wenn der Vorhang aufgeht? Sprich: Hier geht es um bekannte Fragestellungen, welche Unternehmer aus ihrem stationären Geschäft gut kennen. Wie präsentiere ich meine Ware in kaufanregender Darbietung? Oder wie führe ich den Kunden, um seinen Bedarf zügig und mit hoher Servicequalität zu decken? Wenn die Zielseiten erst einmal stehen, geht es darum, die digitale Sichtbarkeit z.B. bei Google zu erhöhen und über proaktive Reichweitenvermarktung neue Bedarfe auf Kundenseite zu wecken. Unternehmen mit schlüssigen Ansätzen zur Verknüpfung der Off- und Online-Welt fahren jetzt in der Pole Position. Diese richten ihre Kommunikation mit gezielten Marketingmaßnahmen auf bereits existierende digitale Kanäle aus. Wer bereits über intakte Website- und Social Media Umfelder oder eine Newsletter-Community verfügt, besitzt optimale Voraussetzungen, um mit Bestands- sowie Neukunden in den Dialog zu gehen. 

Was ist aus Ihrer Sicht aktuell größtes Risiko und größte Chance für Unternehmen? 

Größtes Risiko besteht aus meiner Sicht darin, mit zunehmender Eindämmung der Pandemie in den alten ausschließlich auf analoge Kommunikation setzenden Modus zu verfallen. Wer sich der Online-Öffnung verweigert und keinerlei Gedanken über hybride Konzepte bestehend aus stationärem und digitalem Geschäft macht, wird auch nach der Krise weiter an Geschäftspotentialen einbüßen. Die Chance liegt ganz klar darin, in der jetzigen Phase mit deutlich erhöhten regionalen Suchanfragen und größerer digitaler Durchdringung in sämtlichen Lebensbereichen als Unternehmen präsent zu sein und Kunden so langfristig an sich zu binden. Eine sehr interessante Phase, um auch nach der Krise gestärkt gegen die Geschäftsmodelle von Amazon & Co. hervorzugehen.  

Welche unternehmerischen Eigenschaften sind aus Ihrer Sicht jetzt besonders gefragt?  

Unternehmerischer Mut, Innovationsfähigkeit und Kreativität gepaart mit pragmatischem Handeln.  

Zum Abschluss: Welche aus der Krise resultierenden Veränderungen werden nachhaltig erhalten bleiben?  

Ich erwarte nachhaltige Veränderungen auf verschiedensten Ebenen. Gesellschaftspolitisch wird sich das Umweltbewusstsein z.B. durch den ausbleibenden Berufsverkehr weiter ausprägen. Privat werden Treffen mit Freunden und Bekannten häufiger in digitaler Form stattfinden. Das Arbeitsleben gewinnt an flexibleren Modellen und Geschäftsreisen werden stärker durch digitale Meetings ersetzt. Menschen schätzen die Bequemlichkeit des Sofa-Shoppings und so verschieben sich Einkaufsgewohnheiten dauerhaft noch stärker in Richtung Online. Im Bereich der Mediennutzung hat unsere Toleranz gegenüber Bildschirmzeit ein neues Allzeithoch erreicht, welches sich wahrscheinlich auch künftig auf diesem Niveau bewegen wird. In unserer regionalen Wirtschaft sehen wir, dass die Menschen mit Unterstützung vieler Hilfsaktionen nicht wollen, dass lokale Anbieter und die Innenstädte aussterben. Diese Verbundenheit zum regionalen Handel und eine bewusste Abkehr von großen Onlinehändlern kann auch die Krise überdauern. Wenn regionale Händler ihre on- und offline Aktivitäten intelligent im Kundensinne miteinander verknüpfen und ihr Geschäft um digitale Services erweitern, werden Sie den Megatrend der Regionalität sehr wirkungsstark mitgestalten. 

Unsere Kolleginnen und Kollegen aus allen Unternehmensbereichen geben MADSACK ein Gesicht. Hier stellen wir weitere Projekte, Perspektiven auf die Branchen und Meinungen zu relevanten Trends vor.